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15.02.07

"Wir sind viel zu international um uns ueber Religion zu streiten"

Beirut - "Angst? Ich bin Libanesin, wovor sollte ich noch Angst haben?" lacht Maha, 40, aus ihren aufwendig geschminkten Augen. Sie ist eine charmante Dame aus den guten Beiruter Kreisen, die mit ihren beiden Freundinnen eine Zigarette raucht und den Trubel am Maertyrerplatz anlaesslich des zweiten Jahrestages der Ermordung des libanesischen Premierministers Rafik al-Hariri, einem sunnitischen Muslim, sichtlich genie§t.

Maha ist ebenso wie eine ihrer Begleiterinnen sunnitische Muslimin, die dritte elegante Dame in Leggings und hohen Stiefeln ist Christin. Trotz der Anschlaege auf zwei oeffentliche Busse am Vortag, die Maha als Einschuechterungsversuch interpretiert, kamen die Drei zu der Massenveranstaltung, an der nach wechselnden Angaben aus Sicherheitskreisen bis zu 300 000 Menschen teilnahmen.


"Wir wurden zwar mit der Religion geboren, aber wir sind zu international, als dass wir uns darueber streiten koennten. Wir brauchen im Libanon einfach nur dauerhaften Frieden und die Akzeptanz, dass Religion Privatsache ist, wie in Europa. Nur die Hisbollah versteht das nicht, aber die hat heute keine Stimme." Sich durch die zwei Bus-Anschlaege verunsichern zu lassen, zu Hause zu bleiben, kam fuer sie an diesem Tag ueberhaupt nicht in Frage. Nun muesse man, wie so oft in diesem Krisengebeutelten Land, persoenliche Staerke und Unterstuetzung fuer die Regierung demonstrieren, damit der Hisbollah, die "unser Land in die Steinzeit zurueckfuehren will", die Stirn geboten werde.

An ihre Chanel-Jacke hat sie sich, wie auch ihre Freundinnen, einen Anstecker mit Hariris Konterfei gesteckt, die anderen Kundgebungsteilnehmer sind nicht so sparsam mit ihren Sympathiebekundungen fuer die Regierung: Menschen aller Altersstufen, ganze Familien, Kinder, huellen sich in die Zedernflagge, malen sie sich auf Wangen und Stirn, Frauen nutzen sie als Kopftuch, Maenner als Stirnband, Maedchen als Minirock und so mancher Jugendliche hat sich von seiner Mutter noch die Fahne seines Lieblingsfu§ballteams an die Staatsflagge naehen lassen.

Nun wehen Tausende von Fahnen im Wind, ein neues Nationalgefuehl wird demonstriert, die optimistische Aufbruchstimmung ist fast greifbar. Ein Deutsch-Libanese demonstriert mit riesiger selbst genaehter Deutschland-Fahne, auf die er das Nationalsymbol der Zeder gemalt hat. Spontane Sprechchoere entstehen, immer wieder "Hariri, Hariri" skandiert und Spottlieder auf den syrischen Praesidenten Baschar al-Assad gesungen. Strahlende Gesichter allueberall, die Stimmung ist fast vergleichbar mit der auf den Fanmeilen im deutschen WM-Sommermaerchen.

Jubel brandet auf als Drusenfuehrer Walid Dschumblatt das Rednerpult hinter kugelsicherem Glas erklimmt, auch er verspottet den syrischen Staatspraesidenten, hunderttausende Menschen lachen, pfeifen, klatschen. Ergriffene Stille als der charismatische Saad al-Hariri das Mikrophon ergreift: Er leitet die Gedenkminute an seinen toten Vater ein, vollkommene Stille in Zentral-Beirut, manche, Maenner wie Frauen, weinen. Das Militaer in martialischem grau-wei§em City-Tarn kontrolliert zwar die Zugangsstra§en zum Maertyrerplatz im eleganten Downtown Beirut, doch Taschenkontrollen sind nur sporadisch. Leibesvisitationen, die in der Region der Selbstmordattentate selbstverstaendlich sein sollten, finden nicht statt.

Schon am Vortag heizte sich die Stimmung in der libanesischen Hauptstadt auf. Das Goethe-Institut, dessen Mitarbeiter aufgrund des ersten Anschlages auf oeffentliche Transportmittel im Libanon und wegen des bevorstehenden Ereignisses nervoes waren, riet von einem Besuch der Kundgebung ab. Das deutsche Kulturinstitut blieb, wie ein Gro§teil der Geschaefte, nicht nur aufgrund der gespannten Sicherheitslage geschlossen, sondern auch, weil der 14. Februar zum Staatstrauertag erklaert wurde. Die Anhaenger der "Future Youth" Partei von Saad al-Hariri fuhren jubelnd, Fahnen schwingend und Parteilieder schmetternd im Autokorso durch das christliche Viertel Hamra. Der chaotische Beiruter Verkehr, derzeit noch durch Stra§ensperren und die Omnipraesenz des Militaers verdichtet, kam komplett zum Erliegen.

Ganz anders das Stra§enbild am Jahrestag des Attentats auf den Premier, dem Valentinstag, an den hier nur wenige Confiserien und Blumenhaendler zu erinnern wagten. Vor dem Beginn der Versammlung war kein Auto zu sehen, es herrschte beaengstigende Stille, die nur durch verzerrte Lautsprecherdurchsagen mit Lobeshymnen auf Hariri durchbrochen wurden. Doch die €ngste erwiesen sich als unbegruendet, scheint doch ein Gro§teil der Bevoelkerung - rund 40 Prozent sind sunnitische Muslime, rund 30 Prozent Christen - nicht nur verinnerlicht zu haben, dass Gewalt nirgendwo hinfuehrt, sondern auch bereit zu sein, fuer Frieden und Demokratie einzustehen - selbst unter Lebensgefahr. Die herrscht hier immer, denn - wie die Beirutis sagen - "das Gefaehrlichste ist hier immer noch der Verkehr".


Artikel erschienen am 15.02.2007

Posted by jaz at 15.02.07 10:43

INHALT

  • BUNDESWEHR

    • "Frauen können mental stärker sein" - Interview in der "Welt"
    • Bundeswehr probt Piratenjagd
    • Bauchfrei eher nicht
    • 'Ich habe ein sehr mulmiges Gefuehl'
    • Im Sinne guter Kameradschaft
  • NAHOST

    • Neuschnee auf Zedern
    • Palaestina: Mariana - Ein Maedchen aus Bethlehem
    • Beirut Beach Life
    • "Sonst muesste ich Menschen toeten"
    • Der Tanz der traurigen Gazellen
    • Operation Wuestensturm
    • J'aime la vie! Ich liebe das Leben!
    • I Love Life
    • Menschen in Beirut (4) Ruth Abcarius, Wahllibanesin seit 48 Jahren
    • Herr Schumann und die Hisbollah
    • Menschen in Beirut (3) Der Buergermeister des Hisbollah-Campinglagers
    • Menschen in Beirut (2) - Kapitaen im Libanon, bald in Elternzeit
    • Menschen in Beirut (1) Die Weltverbesserer
    • So moechte ich arbeiten
    • Al-Arabia transportiert Karneval als schlimmes Deutschlandbild
    • "Wir sind viel zu international um uns ueber Religion zu streiten"
    • Ali wants to be my Dog
    • Das faengt ja gut an
    • Respekt vor dem Schoepfer!
    • Gut zu wissen
    • Visum fuer die Reise ins Paradies
    • Damaszener Szenen
    • DIE RUSSINNEN VON DAMASKUS - "Do you want to have some fun?"
    • "Do you want to have some fun?"
    • Checkpoint Palaestina
    • Checkpoint Palaestina taz mag pdf
    • Das Heilige Land als Auftrag
    • Vor der lieben, ruhigen Ehe
    • Bucht des Vergessens
  • WELT

    • Bestandsaufnahme Malediven
    • Der brennende Fels auf der Halbinsel Apscheron bei Baku
    • Aserbaidschan Moto Crew
    • FAS Sand in Sicht
    • Willkommen bei Koenigs!
    • The Conquest of the Kingdom of Saudi Arabia
    • Saudification completed
    • Saudification
    • Too Western - Haram, illegal!
    • Yemen setzt auf Sicherheit
    • Vom Okzident in den Orient (7): Auf der Flucht...
    • Vom Okzident in den Orient (6): Blickkontakte am tuerkischen Strand - ein echtes kulturelles Experiment
    • Vom Okzident in den Orient (5): Brisante Informationen aus dem bulgarischen Ministerium fuer Desaster
    • Vom Okzident in den Orient (4): Schwein in Serbien
    • Vom Okzident in den Orient (3): Werde Zweitfrau!
    • Vom Okzident in den Orient (2): Die Ramadan-Assistenz
    • Undercover-Reisen Vom Okzident in den Orient (1):
    • Kalte Fische im Haifischbecken
    • Arabisch fuer Anfaenger
    • Award Winning Story pdf
    • Enduring Freedom. Mein geheimes Militaertagebuch

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