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29.07.08

Beirut Beach Life

Zerrissene Zedernrepublik
Im Libanon hat jede gesellschaftliche Gruppierung ihre ganz speziellen Strandabschnitte. Die Armen vergnuegen sich in vermuellten Anlagen, die Reichen amuesieren sich in privaten Luxusrefugien. Es gibt es nur noch wenige Straende, die unberuehrt sind

taz, 22.9.2008


Jounieh, libanesischer Urlaubsort, sonntags im spaeten August. Aus den Boxen droehnen die Hits der Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahre. Das kleine Schwimmbecken ist ueberfuellt. Viele dicke Kinder plantschen mit allerlei Gummigetier. Zur Linken erstreckt sich das Panorama von Beiruts Cargo- und Militaerhafen, in der Luft schwebt der Doppelmayr-TelŽferique, die Hochseilbahn, die Ausfluegler auf den 600 Meter hohen Harissa-Gebirgszug ueber Jounieh bringt. An diesem Abschnitt der Levanthe duftet es nicht nach Jasmin und Kardamon, es riecht nach Pommes frites und Autos ohne Kat. †ber dem betonierten Strand liegen die Abgase zahlreicher Motorboote und Jetskis. Im Hotel Bel Azur in Jounieh, dem Urlaubsort noerdlich von Beirut, entspannen sich Familien bei Whiskey und Wasserpfeife auf Plastikliegen.
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Das Mittelmeer am kleinen Sandstrand des angeblichen Vier-Sterne-Hotels ist keineswegs schoen blau, sondern braeunlich, der …lfilm auf der Oberflaeche schimmert in Regenbogenfarben. Dutzende Kinder plantschen in der fischfreien drei§ig Grad warmen Bruehe, stets unter Aufsicht der philippinischen oder aethiopischen Kindermaedchen, die nicht schwimmen koennen. Ihre "Madames", libanesische Christinnen, beharren darauf, "Phoenizierinnen" und keine Araberinnen zu sein. Sie aalen sich in viel zu engen Designerbikinis. Der Fitnesswahn der westlichen Welt hat den Libanon noch nicht erreicht. Kosmetische Operationen und Fettabsaugungen sind billig und gesellschaftlich anerkannt. …l ohne Lichtschutzfaktor ist der DerniŽr Cri und die Meinung der anderen so wichtig wie der ausgiebige, woechentliche Termin im Beauty-Salon.

Auch die "letzten Kreuzritter des Nahen Ostens", wie sich die ehemaligen Soldaten der christlichen Milizen gern nennen, treffen sich sonntags im im Bel Azur, zum Tauchen nach versunkenen Panzern und U-Booten. Um etwas unter Wasser entdecken zu koennen, muss durch eine schleimige Schicht getaucht werden, da Muell und Bootsoel gern vor der Kueste entsorgt werden. Auch wenn die Unterwasserjagd mit Pressluftflaschen und Harpune international verboten und geaechtet ist, kuemmert das hier keinen. "Everything illegal is legal in Lebanon!", lacht ein mit kostspieliger Hightech-Ausruestung ausgestattete Jaeger, der auf seinem 45-minuetigem Tauchgang dann doch keinem einzigen Fisch begegnete.

Die Palaestinenser aus den Fluechtlingslagern treten im Strand- und Nachtleben ausschlie§lich als Security-Leute und Tuersteher auf, Universitaeten zu besuchen, ist ihnen im Libanon verwehrt. Im ebenfalls christlich gepraegten "Bain Militaire", dem exklusiven Beachclub der Armeeangehoerigen an Beiruts neuem Leuchtturm, ist vor allem eines erkennbar: Auswuechse einstigen Steroidmissbrauchs. Bei fast jedem Mann. Was ihnen der Apotheker anscheinend nicht verriet oder was die Verwender vielleicht auch nicht wahrhaben wollen: Maenner bekommen Brueste, wenn die Wachstumshormone aus dem Koerper schwinden. Und nicht wenige ehemaligen Soldaten tragen nun Koerbchengroe§e C.

Die Jungs und Teenager der Hisbollah aus dem zerstoerten Beiruter Sueden haben kein Geld fuer die zwanzig bis vierzig Dollar Eintritt fuer die diversen Strand- oder gar Jachtclubs. Sie springen an der Corniche, der Strandpromenade von Beirut, einfach von rostigen, mit Stacheldraht umgebenen Stahltraegern aus acht Meter Hoehe in das Meer. Der permanente Luftverkehr, zu Helikoptern der UN und der libanesischen Armee kommen Verkehrs- und Privatflugzeuge sowie einzelne †berwachungsflugzeuge der israelischen Armee, geben dem Szenario einen letzten kuriosen Schliff. Die Teenager tragen alte Baumwollunterhosen. Ihre Muetter und Schwestern plantschen derweil zwischen den Felsen in voller islamischer Montur. Kommen sie aus dem Wasser, so zeigt die lange, weite, nun aber nass und eng anliegende islamisch korrekte Kleidung alle Rundungen ihrer Figuren. Doch die Hauptsache ist: Arme, Rumpf, Beine und Kopf muessen bedeckt sein, egal ob durch trockenen oder nassen Stoff. Auf der Corniche, treffen sich Maenner aller Konfessionen zum Angeln, aermere Familien picknicken ebenerdig neben parkenden Autos, waehrend die Reichen Staus mit ihren ueberdimensionierten Autos und gepanzerten Sports Utility Vehicles an der Hauptverkehrsstra§e neben der Promenade verursachen.

Riviera Hotel an der Corniche hat gerade die exklusivste neue "Beachlounge" direkt neben dem Strand der Armen eroeffnet. Fuer zehn Dollar kann der Normalsterbliche hier seine Braeune an zwei kleinen Pools und einer gro§en Bar zur Schau tragen, wer aber etwas auf sich haelt, kann durch die bis zu 1.200 US-Dollar teure Miete eines privaten Strandzelts mit Whirlpool mit Massagefunktion, beeindrucken. Im Riviera steigen vor allem reiche Saudis und Golfstaatler, gern auch ohne ihre zahlreichen Frauen und Kinder ab. Denn fuer schoene und auch leichte Maedchen war Beirut schon in den Sechzigern bekannt, als ein Vergleich mit Paris noch moeglich war. Die Jeunesse dorŽe, die ihr geerbtes Geld gern und leicht verschwendet, zieht Clubs wie das "Oceana", eine halbe Stunde suedlich von Beirut, vor. Fuer zwanzig US-Dollar werden hier immerhin fuenf Pools geboten, einer davon in einem Areal, das nur fuer Erwachsene reserviert ist, selbstverstaendlich mit Poolbar und privaten Strandzelten, unbehelligt vom Nachwuchs; die Kinder koennen den ganzen Tag lang betreut in der "Kids Area" spielen. Sonntags uebernehmen die zwanzig- bis drei§igjaehrigen Partypeople die Pools, sie kommen direkt nach ihren langen Diskonaechten, um zu ohrenbetaeubender Progressive House, Trance und Techno-Musik an und in den Pools weiterzufeiern. Die traditionelle Kost des Libanons ist hier im "Oceana" nicht angesagt. Kulinarisches aus den USA wird vorgezogen. Die verschiedenen Poolbereiche sind nach den US-Ketten, die die Poolabschnitte gepachtet haben. Die Sorge um den Stil der Pedikuere, die Frisur und die Sonnenbrillenmarke scheinen wichtiger als die omnipraesenten und gewoehnungsbeduerftigen Koerperformen, die US-Food-Kultur erwachsen lassen.

Doch da der Libanon ein Land voller Gegensaetze ist, gibt es auch einen Gegenentwurf zu der kommerziellen Ausbeutung der hedonistischen Sehnsuechte der reichen christlich und sunnitisch gepraegten Bevoelkerung. Tief im Sueden, einen Kilometer vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen, drei Kilometer vor der israelischen Grenze, wo das Hinterland noch voller Minen ist, bauten zwei engagierte Tierschuetzerinnen ihren Familiensitz in einer am Strand gelegenen Bananen- und Zitronenplantage zu einem kleinen Gaestehaus, dem "Orange House", aus. Eine †bernachtung inklusive einem unter Mimosen und Hibiskusbaeumen servierten Fruehstueck aus organischen, selbst angebauten Zutaten kostet 50 US-Dollar, so viel wie eine Viertel Flasche Champagner in einer Beachlounge in der Hauptstadt. Dazu bekommt man die Aussicht auf die fein gestriegelten Ziegen, die die Milch fuer den Fruehstueckskaese geben, schauen zu, ebenso wie die zahlreichen herumflirrenden Kolibris und der freilebende Papagei.

Von Juni bis September beobachten Mona Khalil und Habiba Fayad an einem der letzten naturbelassenen Straende des Landes Karett- und Suppenschildkroeten. Sie fuehren Buch ueber die Eiablage, zaehlen die Weibchen, die hier seit Millionen von Jahren, lange vor der Erfindung von Religionen und Landesgrenzen und Beachclubs in einem Land, dessen Wasservorraete noch fuer zehn Jahre reichen, ihre Eier ablegen, schuetzen die Nester im Sand durch Gitter vor Fuechsen und Hunden. Und fuer zehn Dollar Gebuehr, die dem Schutz der vom Aussterben bedrohten Tiere zu Gute kommen, kann der meist auslaendische …ko-Tourist hier von Mitte August bis Mitte September helfen, die Eier vorsichtig auszugraben und das einmalige Erlebnis genie§en, hunderte von herzallerliebst tapsigen Mini-Dinosauriern in das Mittelmeer krabbeln zu sehen. Und wenn, wie die Statistik besagt, auch nur eine von hundert Babyschildkroeten zwanzig Jahre ueberlebt, zur Geschlechtsreife kommt und ihre Eier dann wieder am Orange Beach ablegen will, muss sie es nur noch schaffen, den Muell, den die UN-Soldaten ins Meer schmei§en, zu umschiffen. Sie darf keine einzige schwimmende Plastiktuete mit ihrer Lieblingsspeise, Quallen, verwechseln, da das ihren Tod bedeuten wuerde. Da wegen der Erwaermung des Mittelmeers die Quallenpopulationen stark zunehmen, ebenso wie von Kugelfischen und Barrakudas, die ihren Weg durch den Suezkanal aus dem Roten Meer finden, besteht doch noch ein wenig Hoffnung, die Reptilienarten trotz aller Widrigkeiten zu erhalten. Denn ab einer Nesttemperatur von ueber 30 Grad wachsen mehr Weibchen in den Eiern heran. Hier duftet die Luft endlich wieder nach Jasmin und Kardamon.


DER LIBANON

Offizieller Staatsname: Libanesische Republik Lage: Am oestlichen Ende des Mittelmeers. Der Libanon wird auch die "Schweiz des Nahen Ostens" genannt Hauptstadt: Beirut Bevoelkerungszahl: Etwa vier Millionen Einwohner (2008) Staatsform: Republik Sprache: Amtssprache ist Arabisch. Daneben sind auch Franzoesisch und Englisch weit verbreitet Religion: Die groe§te Glaubensgemeinschaft gehoert zum Islam, gefolgt vom Christentum

Posted by jaz at 29.07.08 0:44

INHALT

  • BUNDESWEHR

    • "Frauen können mental stärker sein" - Interview in der "Welt"
    • Bundeswehr probt Piratenjagd
    • Bauchfrei eher nicht
    • 'Ich habe ein sehr mulmiges Gefuehl'
    • Im Sinne guter Kameradschaft
  • NAHOST

    • Neuschnee auf Zedern
    • Palaestina: Mariana - Ein Maedchen aus Bethlehem
    • Beirut Beach Life
    • "Sonst muesste ich Menschen toeten"
    • Der Tanz der traurigen Gazellen
    • Operation Wuestensturm
    • J'aime la vie! Ich liebe das Leben!
    • I Love Life
    • Menschen in Beirut (4) Ruth Abcarius, Wahllibanesin seit 48 Jahren
    • Herr Schumann und die Hisbollah
    • Menschen in Beirut (3) Der Buergermeister des Hisbollah-Campinglagers
    • Menschen in Beirut (2) - Kapitaen im Libanon, bald in Elternzeit
    • Menschen in Beirut (1) Die Weltverbesserer
    • So moechte ich arbeiten
    • Al-Arabia transportiert Karneval als schlimmes Deutschlandbild
    • "Wir sind viel zu international um uns ueber Religion zu streiten"
    • Ali wants to be my Dog
    • Das faengt ja gut an
    • Respekt vor dem Schoepfer!
    • Gut zu wissen
    • Visum fuer die Reise ins Paradies
    • Damaszener Szenen
    • DIE RUSSINNEN VON DAMASKUS - "Do you want to have some fun?"
    • "Do you want to have some fun?"
    • Checkpoint Palaestina
    • Checkpoint Palaestina taz mag pdf
    • Das Heilige Land als Auftrag
    • Vor der lieben, ruhigen Ehe
    • Bucht des Vergessens
  • WELT

    • Bestandsaufnahme Malediven
    • Der brennende Fels auf der Halbinsel Apscheron bei Baku
    • Aserbaidschan Moto Crew
    • FAS Sand in Sicht
    • Willkommen bei Koenigs!
    • The Conquest of the Kingdom of Saudi Arabia
    • Saudification completed
    • Saudification
    • Too Western - Haram, illegal!
    • Yemen setzt auf Sicherheit
    • Vom Okzident in den Orient (7): Auf der Flucht...
    • Vom Okzident in den Orient (6): Blickkontakte am tuerkischen Strand - ein echtes kulturelles Experiment
    • Vom Okzident in den Orient (5): Brisante Informationen aus dem bulgarischen Ministerium fuer Desaster
    • Vom Okzident in den Orient (4): Schwein in Serbien
    • Vom Okzident in den Orient (3): Werde Zweitfrau!
    • Vom Okzident in den Orient (2): Die Ramadan-Assistenz
    • Undercover-Reisen Vom Okzident in den Orient (1):
    • Kalte Fische im Haifischbecken
    • Arabisch fuer Anfaenger
    • Award Winning Story pdf
    • Enduring Freedom. Mein geheimes Militaertagebuch

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